Mädchen, die keine Kleidchen tragen wollen, Jungen, die Prinzessinnen sein wollen – bei der Bildung der Identität und dem Kennenlernen der Geschlechternormen innerhalb unserer Gesellschaft sind derartige Szenarien heute ganz normal.

Kinder experimentieren mit ihrer Erscheinung und den Gefühlen, welche diese Experimente bei ihnen selbst und bei ihrem Umfeld auslösen. Sie präsentieren sich als das „andere“ Geschlecht, experimentieren mit den aus dem Umfeld erlernten Geschlechternormen und drücken aus, was sie beschäftigt.

Doch was ist, wenn diese Phase nicht vorbeigehen will? Auch das ist ganz normal, es handelt sich hierbei um eine Variante von Geschlechtsidentität – diese passt lediglich nicht zum körperlichen Erscheinen beziehungsweise den Erwartungen, die mit diesem körperlichen Erscheinen an das Kind gestellt werden.

Kognitiv sind Kinder zwischen dem zweiten und dem vierten Lebensjahr dazu in der Lage, Geschlechterrollen wahrzunehmen, die ihnen von ihrem Umfeld vorgelebt werden.

Mit diesem neu gewonnenen Verständnis fangen sie an, sich selbst und ihr Geschlecht darzustellen und zu reflektieren.

Doch Achtung, jetzt kommt’s: Dieses Geschlecht, von dem hier die Rede ist, sitzt zwischen den Ohren, nicht zwischen den Beinen.

Richtig gehört! Die Geschlechtsidentität hat mit den körperlichen Geschlechtsmerkmalen wenig zu tun. Und doch ist sie es, auf Grundlage welcher ein Mensch sich selbst wahrnimmt und definiert.

Hierbei handelt es sich nicht um ein neues Thema. Menschen, deren Geschlechter nicht zu den körperlichen Merkmalen passen, gibt es schon seit es die Menschheit gibt. Erst im Laufe der Zeit, als Rollenbilder sich mehr und mehr festigten, wurde diese Variante von Geschlechtsidentität in den Hintergrund gedrängt.

Ein Ignorieren dieser Thematik lässt Betroffene jedoch nicht einfach verschwinden, es richtet lediglich erheblichen emotionalen Schaden an. Und das wollen wir vermeiden – deswegen liest Du sicher diesen Artikel, oder?

Diese Menschen bezeichnet man als transident, transgeschlechtlich, transsexuell oder trans*. Menschen, deren Geschlechtsidentität mit den körperlichen Geschlechtsmerkmalen übereinstimmen bezeichnet man als cisgeschlechtlich oder cis*.

Es gibt neben den körperlichen Geschlechtsmerkmalen und der Geschlechtsidentität jedoch noch einen dritten Aspekt: das soziale Geschlecht. Dieses beschreibt, wie ein Mensch von seinem Umfeld gesehen und behandelt wird. So werden meist Menschen, die mit Penis zur Welt kommen automatisch als männlich angesehen und auch so behandelt. Genauso wie Menschen, die mit Vagina zur Welt kommen, als weiblich.

Aber Moment mal – Da ein Mensch selbst sich erst zwischen dem zweiten und dem vierten Lebensjahr überhaupt zu seiner Geschlechtsidentität äußern kann, ist es doch schwer, bereits bei der Geburt zu sagen, welches Geschlecht ein Kind hat, nicht wahr? Aber irgendein Geschlecht muss man einem Kind doch bei der Geburt zuordnen, oder nicht?

Ja, man kann dem Kind ein Geschlecht zuweisen. Rechtfertigt dies jedoch ein Ignorieren und Übergehen der Thematik? Natürlich nicht. Aber wie geht man nun damit um?

Hier kommt die Erklärung: Es ist völlig in Ordnung, dem Kind bei der Geburt ein Geschlecht zuzuweisen, denn irgendwie muss das Kind ja angesprochen werden. Die Identifikation mit einem Namen und einem Pronomen ist enorm wichtig für die Selbstwahrnehmung und die Identitätsbildung eines Kindes. Doch wie steht es um Erwartungen an das vermeintliche Geschlecht – also um das soziale Geschlecht?

Muss ein Mädchen unbedingt brav sein und darf keine Wut zeigen?

Müssen Jungs wirklich immer stark sein und dürfen keine Traurigkeit zeigen?

Müssen Mädchen immer rosa mögen und Jungs dürfen das nicht?

Darf nicht jedes Kind ein Kleidchen tragen?

Es gilt, die eigenen Geschlechtererwartungen zu hinterfragen und sensibel dafür zu sein, was ein Kind äußert und begehrt. Es in seinen Wünschen zu bestärken und Äußerungen bezüglich der Geschlechtsidentität wahr- und ernst zu nehmen, sind die richtigsten Dinge, die Erwachsene in dieser Hinsicht tun können.

Das Ziel ist es, Kinder nicht in Rollen zu zwängen, die sich über Jahrhunderte aufgebaut haben (und die, wenn wir ehrlich sind, 2020 sowieso überholt sind) sondern aufzuhören Kleidung, Spielzeug, Emotionen und Handlungen Geschlechter zuzuweisen.

Äußert sich ein Kind, dass es von nun an dem „anderen“ Geschlecht angehören möchte, sollte es gehört und akzeptiert werden. Ob es sich nun um eine Phase handelt oder nicht – eine gesunde Identitätsbildung ist nur möglich, wenn das Kind zu jedem Zeitpunkt als der Mensch akzeptiert wird, der es ist.

Hand auf’s Herz – ist es verwerflich, ein Kind bei dem Namen und Pronomen zu nennen, den bzw. das es selbst gewählt hat? Ein nicht-transidentes Kind wird nicht plötzlich transident, wenn man es in seiner Experimentierphase ernstnimmt. Ein transidentes Kind jedoch profitiert unheimlich von eben diesem Ernstgenommenwerden. Ein Ignorieren der Thematik kann dagegen schaden.

Da das soziale Geschlecht das ist, was transidenten Kindern am meisten Probleme bereitet (etwa, weil es sich mit den Erwartungen seines Umfelds ganz und gar nicht wohlfühlt oder als „er“ bezeichnet wird, obwohl es eine „sie“ ist), sollte hier angesetzt werden.

Junge Kinder, die noch nicht in der Pubertät sind, brauchen einzig und allein eine soziale Transition. Das heißt, dass sie dabei unterstützt werden müssen, ihre Bedürfnisse in ihrem Umfeld durchzusetzen und dafür anerkannt zu werden. Erst wenn sie kurz vor dem Eintritt in die Pubertät stehen, ist über weitere Schritte nachzudenken (Du findest Links und Informationen hierüber unter diesem Artikel).

Sei es das Thematisieren von Transidentität in der Kindergartengruppe oder Schulklasse, den Mut aufzubringen, dem Umfeld den neuen Namen und das richtige Pronomen mitzuteilen oder das Aufklären jener Menschen, die bislang keine Berührungspunkte mit der Thematik hatten.

Ob ein Kind wirklich transident ist, wird sich nach geraumer Zeit von selbst zeigen. Ein nicht transidentes Kind verliert früher oder später das Interesse am Experimentieren mit der Geschlechtsidentität, ein transidentes Kind bleibt hier konstant.

Ein Kind kann nicht transident gemacht werden, indem es „zu viel Offenheit“ gegenüber dieser Thematik erfährt. Es wird höchstens ein paar mehr Kinder geben, die überhaupt mit ihrer Geschlechterrolle experimentieren – und sich so noch selbstbewusster entwickeln dürfen.

Ist es das nicht wert, wenn dadurch der Schaden vorgebeugt wird, den ein transidentes Kind davontragen kann, wenn es jahrelang ignoriert und in seiner Identitätsbildung behindert wird?

Kennst Du schon unser Kinderbuch „Der Hund, der eigentlich ein Vogel ist“? In diesem Buch wird das Thema der Transidentität kindgerecht erklärt. Es bietet transidenten Kindern eine Identifikationsmöglichkeit und kann dabei helfen, das soziale Umfeld eines trans* Kindes einzuweihen und aufzuklären.

Du kannst es hier kaufen:

 

Adressen, Kontakte und Informationen für trans* Kinder und deren Familien:

https://www.dgti.org/kinderundeltern.html

Coming soon (transkids.de)

https://www.trans-kinder-netz.de/was-bieten-wir-an.html 

https://queer-leben.de/junge-menschen/ 

https://www.transinterqueer.org/beratung/persoenliche-trans-inter-beratung/ 

https://www.lambda-bb.de/beratung/coming-out 

https://www.regenbogenportal.de/informationen/mein-trans-kind-kommt-in-die-pubertaet 

 

 

Weiterführende Literatur:

Brill, Stephanie A.; Pepper, Rachel (2016): Wenn Kinder anders fühlen – Identität im anderen Geschlecht.
Ein Ratgeber für Eltern. Unter Mitarbeit von Friedrich W. Kron und Raimund J. Fender. 2., aktualisierte Auflage.     München, Basel: Ernst Reinhardt Verlag. Online verfügbar unter http://www.reinhardt-verlag.de/de/titel/52789/.

Erik Schneider und Christel Baltes-Löhr (Hg.): Normierte Kinder. Effekte der Geschlechternormativität
auf Kindheit und Adoleszenz. 2. Auflage. Bielefeld: Transcript Verlag (Transcript Gender Studies)

Keins, Peter (2015): Trans*Kinder. Eine kleine Fibel. S.l.: CreateSpace Independent Publishing Platform.