Wenn Menschen aufgrund äußerer Merkmale, ihrer Herkunft, ihres Aussehens oder ihrer Kultur benachteiligt behandelt, verbal und körperlich angegriffen werden, spricht man von Rassismus.

Dabei muss Rassismus nicht einmal bewusst oder böse gemeint sein; es handelt sich vielmehr um unbewusste Denkmuster, um gesellschaftliche und institutionelle Strukturen. Strukturen, die wir als Kinder von unserem Umfeld aufsaugen, ohne uns darüber bewusst zu sein, diese bis ins Erwachsenenalter in uns tragen und weiterentwickeln.

Klingt, als könntest Du daran nichts ändern? Weit gefehlt. In diesem Artikel erfährst Du, warum.

Rassismus ist ein durch die von weißen² Menschen erschaffene „Rassenlehre“ ausgelöstes Phänomen. Die im Zeitalter der Aufklärung entstandene „Rassenlehre“ sollte rechtfertigen, dass schwarze Menschen aufgrund biologischer Merkmale „minderwertiger“ seien, als weiße Menschen. Dass dies der Unwahrheit entspricht und den Erfinder*innen nur dazu diente, sich ein Privileg innerhalb der Gesellschaft aufzubauen, muss an dieser Stelle betont werden. Es gibt keine wissenschaftlichen Grundlagen, die den Wert eines Menschen anhand seines Aussehens rechtfertigen.

Über die Jahre hat sich das Konstrukt Rassismus tief in die Gesellschaft verankert und tritt nicht nur gegenüber schwarzen Menschen auf, sondern gegenüber allen, die nicht weiß sind.

Rassistische Strukturen herrschen bereits seit langer Zeit und überall auf der Welt. Es handelt sich hierbei nicht ausschließlich um Denkmuster einzelner Menschen, sondern auch um institutionalisierte und strukturelle Benachteiligungen von Menschen.

Obwohl wir heute wissen, dass die Rassenlehre nicht nur wissenschaftlich falsch sondern auch ethisch mehr als fragwürdig ist, sind rassistische Strukturen so tief in unserer Gesellschaft verankert, dass Du sie – wenn Du nicht selbst von Rassismus betroffen bist – vielleicht noch gar nicht bemerkt hast.

Doch bevor Du erfährst, was Du dagegen tun kannst, solltest Du wissen, wie es dazu kommt, dass so viele Menschen – oft ohne es zu wollen – rassistisch denken und handeln.

Die ersten Lebensjahre eines Kindes sind von vielen ersten Malen geprägt. Erste Eindrücke, erste Erfahrungen und erste Informationen. Auf dieser Basis bildet ein Kind seine Identität. Es saugt alles auf, was sein Umfeld ihm vermittelt; unabhängig davon, ob das nun der Wahrheit entspricht oder nicht.

Kinder vertrauen Erwachsenen blind und geben ihnen einen enormen Vertrauensvorschuss – dieser darf nicht missbraucht werden.

Kinder können durchaus unterschiedliche Hautfarben sehen, sie können durchaus Unterschiede in Familienbräuchen und Kulturen erkennen, doch sie bewerten diese nicht. Erst, wenn einem Kind von seinem Umfeld ein Bewertungsmaßstab gegeben wird, fängt es an, diesen auch zu nutzen.

So werden in der Gesellschaft vorherrschende rassistische Denkmuster an alle Kinder – unabhängig von Aussehen und Herkunft – weitergegeben. Sie übernehmen rassistische Denkmuster als „richtig“ und „normal“. Das wiederum führt dazu, dass jene Kinder, die nicht weiß sind, früh erste Ausgrenzungserfahrungen machen müssen.

Sich anerkannt, geliebt und zugehörig zu fühlen ist für die Identitätsbildung eines Menschen essenziell. Wird ein Kind mit Ausgrenzung und Abwertung konfrontiert, so wird dessen Selbstbewusstsein und das Selbstwertgefühl enorm beeinträchtigt. Die emotionale Entwicklung des Kindes ist in Gefahr.

Ist das Selbstwertgefühl einmal herabgesetzt, ist es für einen kleinen Menschen in der Identitätsbildung enorm schwierig, weitere Erfahrungen ähnlich positiv zu manifestieren, wie Kinder ohne derartige Erfahrungen.

Hiervon sind natürlich nicht nur gerade erst migrierte Menschen betroffen, sondern auch jene, die bereits seit Generationen in Deutschland leben und die – jetzt kommt‘s – deutsch SIND.

Es braucht keine hasserfüllte und bösartige Haltung gegenüber Kindern mit einer nicht weißen Hautfarbe oder einem Migrationshintergrund, um diese auszugrenzen. Es reicht bereits ein ständiges Vorhalten des „Andersseins“, ein Hervorheben des Aussehens und der Kultur eines Menschen, wodurch das Gefühl vermittelt wird, nicht dazuzugehören und „anders“ zu sein.

Diese Art der Ausgrenzung kann Kinder mit Migrationshintergrund schon (viel zu) früh ein Bewusstsein über ein vermeintliches „Anderssein“ vermitteln. Sie nehmen sich ab sofort selbst als anders – meist schlechter – wahr.

Nun denkst Du dir bestimmt: „Also ICH gehöre nicht zu diesen Menschen.“ Und damit magst Du sogar Recht haben. Doch das befreit Dich nicht von Deiner Verantwortung, Dir Dein Umfeld nochmal genau anzuschauen, um rassistische Strukturen, die sich in Deinem Umfeld versteckt haben, aufzudecken.

Wie groß ist der Anteil der PoC (People of Color – alle Menschen, die nicht weiß sind) in Büchern, Fernsehsendungen, ja sogar im Bekanntenkreis?

Wie wird in Deinem Umfeld über Menschen mit anderer Herkunft gesprochen?

Findest Du bei Dir selbst doch die ein oder andere Schublade, in welche Du eine bestimmte Menschengruppe steckst?

Ich spreche hier nicht ausschließlich von Beleidigungen und Abwertungen; vielmehr sind kleine, fast unscheinbar wirkende Äußerungen gemeint.

„DIE können alle gut tanzen.“

„DIE sind immer so laut.“

„WIR würden so etwas nicht machen.“

Dass nicht alle weißen Menschen absichtlich und mit böser Absicht rassistisch handeln, ist korrekt und auch wichtig hervorzuheben. Da sie jedoch in die bestehenden (rassistischen) Strukturen hineingeboren werden, ist es nur logisch, dass sich erst etwas an Rassismus verändern kann, wenn sie sich darüber bewusst werden, dass diese Strukturen vorherrschen und dass sie diese, wenn sie nicht gezielt dagegen vorgehen, weiter reproduzieren. 

Es mag nun klingen, als würden weiße Menschen in eine Verantwortung gezogen werden, ohne, dass sie selbst am Aufbau des strukturellen Rassismus mitgewirkt haben. Das ist jetzt hoffentlich kein Schock für Dich, doch genau so ist es auch gemeint. 

Menschen, die aufgrund dieser Strukturen benachteiligt werden, wurden ebenfalls, ohne es zu wollen, in diese hineingeboren. Es bedarf der Solidarisierung ALLER Menschen, um Rassismus nachhaltig zu bekämpfen.

Du hast vielleicht bemerkt, dass Rassismus ein doch sehr komplexes Thema ist, welches weit tiefer geht als Beleidigungen und Übergriffe. (Dass diese ein absolutes No-Go sind, muss ich Dir nicht extra erklären.)

Vielleicht empfindest Du sogar eine gewisse Ohnmacht gegenüber diesem Thema, weil es ein so großes ist. Aber ich habe eine gute Nachricht für Dich: Es ist total einfach, jetzt sofort zu handeln, um dem Ziel der Gerechtigkeit für ALLE Kinder näher zu kommen.

Der Schlüssel ist: rassismuskritisches Denken.

Es ist durchaus menschlich, in Schubladen zu denken. Nur so kann der Mensch sich in dieser äußerst komplexen Welt zurechtfinden. Doch ebenso menschlich ist es, seine eigenen Schubladen zu reflektieren und zu hinterfragen. Eben kritisch mit sich selbst und seiner Umwelt zu sein.

Solltest Du bei Dir selbst oder jemand anderem auf Rassismus stoßen – dann argumentiere so:

Rassismuskritik ist keine Kritik am Charakter – es ist vielmehr ein Aufzeigen von unbewusst verankerten (Denk-)Strukturen und somit eine Chance zur Verbesserung der Umstände.

Aus diesem Grund sollte derartige Kritik nicht übel, sondern dankbar angenommen werden. Für seine Sozialisation kann kein Mensch etwas – doch für das eigene Handeln im Hier und Jetzt schon.

Hinterfrage Deine Erziehung, Deine Sozialisation und Deine Denkmuster. Beobachte Dich selbst, Deine Emotionen und Reaktionen, wenn Du auf Menschengruppen triffst, die sich aufgrund ihres Aussehens, ihrer Kultur oder ihrer Herkunft von Dir unterscheiden. Reflektiere Deine Sprache und achte darauf, wie Du Dich ausdrückst.

Nur ein*e reflektierte*r Erwachsene*r kann Kindern ein gutes Vorbild sein und ihnen somit eine wirkliche Möglichkeit zur chancengleichen Entwicklung geben. Und dafür sind wir schließlich hier in diesem Artikel zusammengekommen, oder nicht?

Rassismus ist also ein Thema im Kindesalter. Was zunächst nicht gut klingt, birgt jedoch eine Chance: Wir Erwachsene können Kinder bereits früh zu rassismuskritischem Denken anregen und sie somit zu Antirassist*innen erziehen.

Im Kampf gegen Rassismus reicht es nicht, kein*e Rassist*in zu sein – nur als Antirassist*in lassen sich Strukturen nachhaltig beeinflussen und verändern.

Daher ein letzter Aufruf an Dich: Sei offen für die Erlebnisse anderer Menschen, auch wenn diese sich von Deinen eigenen unterscheiden. Sei bereit, Neues zu lernen und Deine eigenen Denkmuster zu hinterfragen. Damit trägst Du bereits einen großen Teil zum Kampf gegen Rassismus bei.

 

Du fragst Dich, wie Du Rassismus mit Kindern ansprechen kannst? Unser Buchprojekt „Bär ist Bär“ erklärt Kindern ab 4 Jahren das Thema Rassismus und motiviert sie gleichzeitig, dagegen anzugehen und für sich und andere einzustehen. Kindern mit Rassismuserfahrungen soll dieses Buch als Grundlage dienen, ihre Erfahrungen ansprechen und verarbeiten zu können.

Das Buch erscheint 2021!

 

²Vielleicht fragst Du Dich „Warum steht denn da jetzt „weiß“, wenn wir doch eigentlich aufhören wollen, Menschen zu kategorisieren?“ Grundsätzlich hast Du damit recht, aber: An dieser Stelle steht „weiß“, um auf das Privileg aufmerksam zu machen, sich nur gewollt mit Rassismus auseinandersetzen zu müssen. Die Bezeichnung als „weiß“ ist in politischen sowie sozialen Debatten ein wichtiger Begriff, durch welchen Anerkannt wird, dass es aktuell in unserer Gesellschaft durchaus Unterschiede in der Behandlung von weißen Menschen und Menschen mit Migrationshintergrund gibt. Eine als weiß bezeichnete Person wurde nie ungewollt mit Rassismus konfrontiert, doch kann trotzdem (sogar erst recht!) gegen diesen ankämpfen.

 

 

 

 

Weiterführende Literatur:

Ransiek, Anna-Christine (2019): Rassismus in Deutschland. Eine macht-reflexive, biographietheoretische und diskursanalytische Studie. Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH.

Hill, Miriam (2020): Migrationsfamilien und Rassismus. Zwischen Ausschließungspraxen und Neuorientierung. Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH.

Ogette, Tupoka (2019): Exit RACISM. Rassismuskritisch denken lernen. Unrast-Verlag.